Strabismus - Medizinische Experten

11.12.2023
Univ.-Prof. Dr. Dr. Ludwig Heindl
Medizinischer Fachautor

Unter dem medizinischen Begriff Strabismus wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Schielen verstanden. Es handelt sich dabei um eine unausgeglichene Balance der Augenmuskeln. Charakteristisch hierfür ist das Abweichen der Blickachsen beider Augen voneinander. Die Augen blicken also durch eine Fehlstellung in unterschiedliche Richtungen.

ICD-Codes für diese Krankheit: H49, H50

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Was ist Strabismus?

Normalerweise verlaufen die Blickachsen bei Fernsicht parallel. Beim Betrachten eines Objektes, das dichter vor den Augen ist, verläuft die Blickachse gleichmäßig nach innen. Beim Schielen hingegen ist ein Auge stärker nach innen gedreht als das andere.

Für das Ausmaß eines Strabismus gibt es eine große Spannbreite: vom sogenannten Silberblick mit kaum wahrnehmbarer Blickachsenabweichung bis hin zum entstellenden drastischen Schielen. Die Übergänge sind fließend.

Welche Formen von Strabismus gibt es?

Die Formen des Schielens unterscheiden Mediziner nach unterschiedlichen Kriterien:

Arten des Strabismus

Beim Schielen unterscheiden Ärzte zunächst zwischen zwei Arten:

  • Der primäre Strabismus: tritt ohne eine weitere Augenerkrankung auf.
  • Der sekundäre Strabismus: das Schielen hat eine andere Erkrankung als Ursache.

Das klinische Erscheinungsbild dient als weiteres Unterscheidungskriterium, um die Art zu definieren.

  • Beim manifesten Strabismus (Begleitschielen) weichen die Blickrichtungen beider Augen ständig voneinander ab. 
  • Beim latenten Strabismus (Heterophorie) handelt es sich oftmals nur um eine Überlastungserscheinung.

Am häufigsten tritt latenter Strabismus (Heterophorie) auf. Diese Fehlstellung bleibt meist unbehandelt, da es oft nur auftritt, wenn das Auge belastet ist. Meist ist das Gehirn aber trotzdem in der Lage, das Schielen durch die geringfügige Störung auszugleichen. Bei nur zehn Prozent der Betroffenen mit latentem Schielen kommt es zu Beeinträchtigungen.

Der Strabismus concomitans (Begleitschielen) und Strabismus paralyticus (Lähmungsschielen) werden hingegen medizinisch behandelt. Das Begleitschielen tritt häufig bereits im Baby- oder Kindesalter auf. 

Beim sogenannten Lähmungsschielen kommt es zu einer Augenmuskellähmung, meist durch eine vorangegangene Entzündung oder Verletzung.

Schielrichtung

Die Mediziner unterscheiden zwischen:

  • Einwärts gerichteten Schielen (Strabismus convergens oder Esotropie), bei dem ein Auge zur Nase gerichtet ist
  • Auswärts gerichtetem Schielen (Strabismus divergens oder Exotropie)
Nach innen gerichteter StrabismusNach innen gerichteter Strabismus @ Alessandro Grandini /AdobeStock

Von den üblichen waagerechten Blickachsenabweichungen gibt es außerdem senkrechte Abweichungen. Der Oberbegriff für diese Form lautet Vertikalotropie. Steht das rechte Auge höher als das linke, sprechen Ärzte von Hypertropie. Befindet sich das linke Auge höher als das rechte, ist von Hypotropie die Rede.

Mit Hilfe einer Strabismus-Therapie kann der Patient die normale Augenstellung häufig wieder erreichen. Das ist notwendig, um beide Seheindrücke der Augen zu einem einzigen Bild zu verschmelzen (Fusion). Durch die Fusion ist das räumliche Sehen erst möglich. Betroffene sehen hingegen häufig Doppelbilder.

Schielende Kleinkinder unterdrücken das stereotype Sehen häufig, indem sie nur ein Auge nutzen. In diesen Fällen kann sich aus dem Strabismus eine weitere Sehschwäche entwickeln. 

Deshalb ist es wichtig, bereits bei Kleinkindern und Babys zu überprüfen, ob ein Schielen der Augen vorliegt. Um so früh wie möglich eine Behandlung einleiten zu können.

Häufigkeit von Schielen

Die verschiedenen Formen von Strabismus treten unterschiedlich oft auf. Die Heterophorie (latentes Schielen) kommt bei über 70 Prozent aller Menschen vor. Meist zeigt sie sich bei Übermüdung der Augen oder Alkoholeinfluss.

Dagegen tritt der Strabismus concomitans (Begleitschielen) bereits in den ersten beiden Lebensjahren auf. Es ist auch möglich, dass die Kinder bereits mit Strabismus auf die Welt kommen. 

Betroffen sind ungefähr vier Prozent aller Kinder, zumeist vom frühkindlichen Einwärtsschielen. Diese Form von Strabismus tritt bei Babys meist bereits innerhalb der ersten sechs Lebensmonate auf. Das sogenannte Lähmungsschielen hingegen kann Kinder, Babys und Erwachsene gleichermaßen betreffen.

Ursachen von Schielen

Für den Strabismus können verschiedene Ursachen verantwortlich sein.

  • Die Formen Strabismus concomitans (Begleitschielen) und die Heterophorie (latentes Schielen) sind auf ein gestörtes Gleichgewicht der Augenmuskeln zurückzuführen. Die eigentliche Ursache ist meist unbekannt. 
  • Betroffene, die an Strabismus concomitans leiden, haben meist Verwandte, die ebenfalls darunter leiden. Hinzu kommt häufig Kurzsichtigkeit oder Weitsichtigkeit.
  • Beim latenten Schielen tritt hingegen das Ungleichgewicht der Augenmuskeln nur kurzzeitig auf. Das liegt zumeist daran, dass hier die Fähigkeit, die Seheindrücke zu verschmelzen, unterentwickelt ist. Das Schielen tritt in diesem Fall nur bei Ermüdung, Alkoholeinfluss oder bei anderen Überlastungsfaktoren auf.
  • Die Form Strabismus paralyticus (Lähmungsschielen) ist hingegen auf eine Lähmung der äußeren Augenmuskeln zurückzuführen. Diese Form kann plötzlich auftreten. 

Mögliche Gründe sind: 

  • Muskelerkrankung
  • Entzündung 
  • Tumor
  • Durchblutungsstörungen

Betroffene Kinder haben oft während der Geburt Verletzungen im Gesicht, im Gehirn oder im Bereich der Augen erlitten.

Symptome von Schielen

Charakteristisch für das Schielen ist die Fehlstellung der Augen. Dadurch richtet sich der Blick der Augen in unterschiedliche Richtungen. Es kommt zum typischen Schielen. 

Ursache ist meistens, dass eine der beiden Augenachsen von der Normalstellung (Parallelstellung) abweicht. Am häufigsten verändert sich die Stellung nach innen oder außen.

Häufig wird das Schielen von weiteren Symptomen begleitet:

  • Brennende oder zitternde Augen
  • Konzentrationsprobleme
  • Erhöhte Lichtempfindlichkeit
  • Kopfschmerzen
  • Schiefhalten des Kopfs
  • Blinzeln oder Zwinkern
  • Leseschwäche
  • Ungeschicklichkeit beim Greifen von Gegenständen

Treten diese Anzeichen unerwartet auf, können sie auch auf ein späteres Schielen hindeuten.

Die unterschiedlichen Symptome des Schielens hängen zudem von der jeweiligen Form von Strabismus (Schielen) ab:

Heterophorie (latentes Schielen)

Von einer Heterophorie bzw. einem latenten Schielen spricht man, wenn die Augenmuskeln nicht im Gleichgewicht zueinander stehen. Das Gehirn kann dies jedoch ausgleichen und sorgt dafür, dass die beiden Seheindrücke miteinander verschmelzen. 

Ein Schielen der Augen ist somit oftmals nicht wahrzunehmen. Erst durch ungünstige Faktoren wie Ermüdung, Stress, Alkohol, psychische Belastung oder eine allgemeine Erkrankung tritt das Schielen auf.

Bei etwa zehn Prozent der Betroffenen treten Begleitsymptome auf:

  • Kopfschmerzen
  • Rasche Ermüdung
  • Verschwommenes Sehen
  • Doppelbilder

Strabismus concomitans (Begleitschielen)

Beim Strabismus concomitans, dem sogenannten Begleitschielen, ist es dem Betroffenen nicht möglich, das Ungleichgewicht der Augenmuskeln eigenständig auszugleichen

Die Sehachsen beider Augen richten sich nicht automatisch auf dasselbe Objekt. Der unterschiedliche Sichtwinkel bleibt auch bei der Bewegung der Augen bestehen. 

Jedoch kann die Abweichung so geringfügig sein, dass zunächst keine sichtbaren Symptome auftreten und das typische Schielen ausbleibt. Daher erkennen Ärzte den Strabismus concomitans gelegentlich erst spät oder gar nicht.

Begleitet wird der Strabismus concomitans oftmals von einer leichten Weitsichtigkeit. Tritt das Schielen nur bei einem Auge auf, kann dieses Auge zusätzlich an einer Schwachsichtigkeit (medizinisch Amblyopie) leiden. 

Bei dieser Form kann es zudem vorkommen, dass der Betroffene seinen Kopf schief hält oder seine Augen zittern.

Strabismus paralyticus (Lähmungsschielen)

Bei dieser Form des Schielens der Augen fällt einer oder mehrere der äußeren Außenmuskeln eines Auges aus. Je nach Blickrichtung ändert sich dabei auch der Schielwinkel. Durch das plötzliche Auftreten des Schielens der Augen nimmt der Betroffene meist auch die Symptome plötzlich wahr.

Typisch für diese Form von Strabismus ist die Wahrnehmung von Doppelbildern. Meist ist es die Richtung, in der sich das Auge bei intaktem Muskel richtet. Begleitet wird das Schielen häufig von Schwindel bis hin zu Übelkeit. Um die Doppelbilder auszugleichen, halten viele Betroffene den Kopf schief (kompensatorische Kopfschiefhaltung).

Krankheitsverlauf des Strabismus

Oftmals lässt sich das Schielen durch eine frühzeitig eingeleitete Therapie in den Griff bekommen. Wird jedoch ein Strabismus concomitans (Begleitschielen) bei einem Kleinkind nicht rechtzeitig behandelt, kann das langfristig zu einer Sehschwäche führen. Diese ist bereits im Schulalter nicht mehr rückgängig zu machen.

Deshalb ist es wichtig, Kinder bereits im Vorschulalter untersuchen zu lassen. Je früher die Ärzte den Strabismus diagnostizieren, desto besser. Bereits bei einem sechs Monate alten Baby können erste Behandlungsmaßnahmen erfolgen, um das Schielen zu therapieren.

Diagnose des Schielens

Oftmals ist der Strabismus bereits offensichtlich: Die typische Augenstellung führt zur eindeutigen Diagnose. Doch auch die genannten Begleiterscheinungen können dem Arzt einen Hinweis geben. Sind Kinder betroffen, entdeckt der Kinderarzt die Fehlstellung häufig im Rahmen der regulären U1 bis U9 Untersuchungen.

Zur Diagnose des Schielens der Augen stehen verschiedene Sehtests und orthoptische Tests zur Verfügung:

Ein sehr wichtiger Test ist dabei der Ab- und Aufdecktest

Beim Abdecktest muss das Kind zunächst ein Auge abdecken. Kontrolliert wird dann, ob sich die Augenstellung des nicht abgedeckten Auges verändert oder gleich bleibt. Stellt sich das Auge neu ein, kann Strabismus concomitans (Begleitschielen) vorliegen. 

Beim Aufdecktest wird hingegen überprüft, ob das aufgedeckte Auge versucht, durch zusätzliche Bewegungen eine Fusion der Sehbilder zu bewirken. In diesem Fall kann eine Heterophorie, ein latentes Schielen, vorliegen.

Letztendlich dienen alle Tests dazu, dass der Augenarzt die Form des Strabismus eingrenzt und andere Erkrankungen ausschließt. Denn erst wenn eine genaue Diagnose feststeht, ist es möglich, die geeignete Behandlung einzuleiten.

Behandlung des Strabismus

Bei einem Strabismus im Kindes- oder Kleinkindalter, den Ärzte frühzeitig erkennen, reicht meist eine konservative Therapie. Den Kindern bleibt häufig eine Operation erspart.

Konservative Behandlung von Kindern

In der Regel verschreibt der behandelnde Arzt eine Brille und ein Augentraining.

Im Rahmen der Fusionsschulung lernen die Kinder das Zusammenführen der Doppelbilder.

Mit Hilfe der Okklusionstherapie behandeln Ärzte eine beginnende Sehschwäche. Bei der Okklusionstherapie werden beide Augen abwechselnd mit einem Pflaster abgedeckt. Das Pflaster bleibt über einen gewissen Zeitraum auf dem Auge kleben. Durch diese Anwendung wird das schwache Auge gezwungen, mehr zu leisten.

Mit dieser Form der Therapie gelingt es Kindern gutes Sehen zu erlernen und das Schielen der Augen zu verlernen. Meist bleiben Kinder mit einer schiel-bedingten Sehschwäche etwa bis zum zwölften Lebensjahr in Behandlung.

Okklusionstherapie bei StrabismusOkklusionstherapie bei Strabismus @ kucheruk /AdobeStock

Konservative Behandlung von Erwachsenen

Auch Erwachsene, die unter Begleitschielen leiden, erhalten eine Therapie, die das Stereosehen unterbindet und die volle Sehschärfe wiederherstellt. 

Sieht der Betroffene Doppelbilder, erhält er häufig eine Prismenbrille. Diese hat auf einem Brillenglas eine matte Folie. Das hilft, den Einfall der Lichtstrahlen zu verändern und das Stereosehen zu vermeiden. 

Auch Erwachsene erhalten häufig eine Fusionsschulung. Diese Form der Therapie kann bewirken, dass sich die Augenstellung normalisiert und das Schielen nicht mehr offensichtlich ist.

Beim Lähmungsschielen hingegen, dem Strabismus paralyticus, müssen Ärzte die Ursache der Augenlähmung behandeln.

In seltenen Fällen kann sich die Lähmung der Augenmuskeln auch ohne Behandlung zurückbilden. Das Problem bei dieser Form ist, dass der eigentliche Auslöser oft nicht diagnostiziert werden kann. 

Das erschwert die Behandlung, die sich meist nach der Ursache richtet. Manchmal bleibt das Schielen der Augen trotz Behandlung bestehen. In solchen Fällen erhält der Patient Prismengläser, die das Doppeltsehen aufheben.

Besteht das Schielen der Augen trotz Behandlung länger als sechs Monate, empfehlen Ärzte eine Operation.

Operation bei Strabismus

Reicht eine konservative Behandlung nicht aus, ist eine Operation notwendig, um die Augen wieder in Parallelstellung zu bringen. Ein operativer Eingriff kann auch aus kosmetischen Gründen oder aufgrund der seelischen Belastung erfolgen. Die Operation wird bei Kindern meist unter Vollnarkose durchgeführt, bei Erwachsenen reicht häufig eine lokale Betäubung aus.

Bei der Schieloperation (Strabismus-Operation) nimmt der Chirurg Einfluss auf die Mechanik, die Beweglichkeit und die Augenstellung. Dadurch kann sich das Schielen der Augen zwar ausgleichen, ein Rückfall ist jedoch möglich.

Vorbeugung

Generell lässt sich Schielen nicht vorbeugen. Es ist nur möglich, prophylaktische Maßnahmen zu ergreifen, um eine spätere Sehschwäche zu vermeiden. Aus diesem Grund sollten Sie schon bei Kleinkindern und Babys die Augenstellung kontrollieren lassen. Ziel ist, so frühzeitig wie möglich mit der Therapie zu beginnen.

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